Ein brandneues Projekt mit dem Titel Orchidées hat sofort meine Aufmerksamkeit geweckt – nicht nur wegen der spannenden Verbindung von Wissenschaft und Kunst, sondern auch, weil der elegante französische Titel so schön zu meiner Liebe für die französische Sprache und Kultur passt, wie Sie vielleicht anhand meines Jazzrepertoires bemerkt haben. Besonders außergewöhnliche Orte, an denen Kunst(geschichte), Musik und Natur zusammenfinden, faszinieren mich besonders und – die ich als Jazzsängerin, Songwriterin und Kunsthistorikerin immer wieder versuche, mit Freude zu vereinen.
Meine Liebe zur Natur begleitet mich mein ganzes Leben lang doch einen botanischen Garten von solcher Größe und Vielfalt wie die Huntington Gardens in San Marino, Pasadena, habe ich erst bei meinem ersten Besuch in Südkalifornien entdeckt. Auf einer Fläche von 207 Acres bieten die akribisch gepflegten, 84 Hektar großen Gärten des Huntington eine atemberaubende Pflanzenvielfalt – von kargen Wüstensukkulenten bis hin zu zarten Orchideen –, wie ich sie zuvor nie erlebt hatte. Dieser außergewöhnliche Ort wurde seitdem für mich zu einer wiederkehrenden Quelle des Staunens und der Inspiration. Er vertiefte meine Verbindung zu den erstaunlichen Formen und Farben der Natur und zu ihrer schöpferischen und heilenden Kraft.
🪴 Orchideen in Bewegung: Leidenschaft für Wissenschaft trifft auf künstlerischen Ausdruck
Orchidées ist eine Komposition, die im Oktober 2025 bei der renommierten Orchideen-Ausstellung des Huntington in Kalifornien uraufgeführt wird. Das Werk entstand aus der engen Zusammenarbeit des irischen Komponisten Nick Roth mit der Botanikerin Barbara Gravendeel und ihrem Team vom Naturalis Biodiversity Center in Leiden. Für dieses Komposition wurden die DNA-Sequenzen von Orchideen in ein fünf-sätziges Cellowerk übersetzt.
Jeder dieser Sätze repräsentiert eine andere Orchideen-Unterfamilie, dargestellt durch die Komplexität genetischer Codefolgen, die in musikalische Motive verwandelt werden. Die Aufführung wird von faszinierenden Zeitraffervideos begleitet, die Orchideen in voller Blüte zeigen und so einen nachhaltigen Dialog zwischen Sehen und Hören schaffen.
🪴 Die dunkleren Wurzeln der Orchidee
Dieses einzigartige Musikprojekt ist eine schöne Hommage an die beständige Inspirationskraft der Orchideen. Es hebt die Bedeutung historischer Sammlungen, wie die des Huntington, an der Spitze wissenschaftlicher Entdeckungen hervor und betont die Orchideen als Botschafterinnen der biologischen Vielfalt und des kulturellen Erbes. Zugleich lässt sich ihre Geschichte nicht von einer dunkleren Realität trennen.
Die älteste bekannte Erwähnung von Orchideen stammt von fast 3000 Jahren v. Chr. Doch erst im späten 18. Jahrhundert wurden diese Blumen für einen äußerst lukrativen europäischen Markt entdeckt. Dies löste Mitte und im späten 19. Jahrhundert ein regelrechtes Orchidelerium aus – eine dramatische Jagd nach immer neuen und exotischen Orchideenarten. Sogenannte Pflanzensammler nutzten dabei oft das Wissen indigener Völker aus und schädigten gelegentlich natürliche Lebensräume auf der Suche nach seltenen Pflanzen. Diese manchmal hässliche Geschichte schöner Dinge ist eine komplizierte Angelegenheit. Doch noch heute entfachen Orchideen einen außergewöhnlichen Austausch zwischen Menschen und Kulturen – weit über das Pflanzenreiche hinaus –, der Jahrhunderte und Kontinente überspannt. Sie inspirieren Sammler, Musiker und Künstler, prägen die wissenschaftliche Forschung ebenso wie die Geschichte von Orten und Gebäuden, wovon ich Ihnen gleich berichten werde…
🪴 Mein „Orchideen-Zuhause“: Das vielschichtige Erbe des Jenisch Hauses
Wohin mit meinen „wertvollen“ Orchideen, wenn ich im Winter wieder verreise? Fragte ich mich. Natürlich ins Jenisch Haus in Hamburg, dachte ich mir.
Warum gerade dorthin? fragen Sie vielleicht…
Nun, ich habe eine ganz besondere Beziehung zum Jenisch Haus, da ich dort arbeite, wann immer ich mich in Hamburg aufhalte. Dabei ist eigentlich kein Haus, sondern eine malerische Villa des 19. Jahrhunderts, die auf einem der sanften Hügel des romantischen Jenisch Parks wie ein Juwel thront. Seit den 1950er Jahren ist sie als Museum der Öffentlichkeit zugänglich und dient oft als Kulisse für Hochzeitsfotos, festliche Gesellschaften und Kammerkonzerte.
Orchideen fügen sich dort also ganz harmonisch ins Bild.
Die reizvolle Umgebung steigert die Wirkung. Der Park entstand in den 1830er Jahren als weitläufige, sanft modellierte englische Landschaftsanlage mit einem relativ neuen Naturschutzgebiet, historischem Lustgarten oder pleasure ground und Arboretum, wo der älteste Ginkgo Hamburgs in aller Pracht steht.
Meine tiefe Zuneigung zu diesem Ort ist kein Zufall. Von der ländlichen Landschaft Suffolks geprägt, fühle ich mich dort instinktiv zu Hause, als würde die Landschaft mit einer inneren Topografie in Resonanz stehen, die ich von meinem Heimatort und meiner Kindheit mitbekommen habe.
Zwischen 1831 und 1834 errichtet, gehört die klassizistische Villa zu Hamburgs wichtigsten und architektonisch bedeutendsten Baudenkmalen. Die Pläne stammen von Gustav Forsmann (1795–1878) und dem berühmten preußischen Architekten Karl Friedrich Schinkel (1781–1841). Bauherren waren der vermögende Hamburger Senator Martin Johann Jenisch (1793–1857) und seine Frau Fanny Henriette (1801–1880). Sie erwarben das frühere Gut des angesehenen Übersee-Kaufmanns Baron Caspar Voght in Klein Flottbek und verwandelten seinen Ornamented Farm in einen repräsentativen Garten und hortikulturellen Schauplatz.Vor allem durch Jenischs umfangreiche Sammlungen von Gemälden, Skulpturen, tropischen Bäumen und Orchideen prägte er Hamburgs kulturelles und botanisches Erbe maßgeblich.
Im ausgehenden 19. Jahrhundert stellte Natur einen wichtigen philosophischen und ästhetischen Bezugspunkt der Oberklasse als Quelle der Inspiration dar. Zahlreiche architektonische Details der Villa spiegeln diese Haltung wider: Die Marketerie des Damenzimmers, das großzügige Vestibül und der Gartensalon mit imposantem Elbblick. Es waren raffinierte, elegante Räume, die Innenleben und Natur verbanden – Ausdruck zentraler klassizistischer Ideale wie Symmetrie, Ordnung und Harmonie. Ihre Vorbilder stammen unmittelbar aus der Architektur der Antike.
Die große Wertschätzung dieser Orte motivierte die sogenannte Grand Tour Italiens. Gerade für den britischen Adel und Nordeuropäer entwickelte sie sich im 18. Jahrhundert zum Initiationsritus, bei dem junge Männer antike Stätten in Rom, Florenz, Venedig, Neapel und Pompeji kennenlernten. Viele reisten mit dem Ziel, Kunstwerke oder Altertümer für ihre Häuser zu erwerben – wie die Jenischs, die dreimal ausgedehnte Reisen nach Italien unternahmen, während die Villa erbaut wurde.
🪴 Jenischs Sammlungen: Kunstwerke, Bäume und Orchideen
So konnte der Hamburger Senator Jenisch im Laufe der Jahre eine bedeutende Sammlung von Kunstwerken zusammenstellen. Er war ein leidenschaftlicher und einflussreicher Sammler, mit Schwerpunkt auf deutschen Künstlern, die im 19. Jahrhundert in Italien wirkten. Dazu zählte zum Beispiel Johann Friedrich Overbeck, führende Persönlichkeit der Nazarener-Bewegung mit religiös geprägter Frührenaissance. Jenischs Sammelleidenschaft erstreckte sich auch auf ein sorgfältig kuratiertes Arboretum im eigenen Park, das seltene und exotische Bäume präsentierte – als ein Sinnbild für die botanische Entdeckungsfreude der Zeit.
Besonders berühmt war Jenisch indes für seine Orchideensammlung, die über 1.000 Arten aus mehr als 144 Gattungen umfasste – darunter seltene Exemplare aus Afrika, Asien und Amerika. Im 19. Jahrhundert galt die Sammlung als eine der bedeutendsten Europas. Jenisch’s Orchideen wurden auf renommierten Gartenausstellungen präsentiert, die mit denen der Londoner Gartenbauelite konkurrierten. Sie zog viele Besucher und Würdenträger an, darunter König Christian VIII. von Dänemark, was seine internationale Wertschätzung verdeutlicht.
🪴 Gewächshäuser: Rarität und Schönheit kultivieren
Unverzichtbar für den Aufbau von Jenischs Sammlung war sein Gärtner Friedrich Berthold Kramer. Zuvor war er im Botanischen Garten Hamburg tätig (heute Teil von Planten und Blomen). Kramer verfügte über internationales Verbindungen im Pflanzennetzwerk, importierte Pflanzen direkt aus Übersee, arbeitete mit britischen und Hamburger Gärtnereien zusammen und stand mit bekannten Botanikern wie Heinrich Gustav Reichenbach im Austausch. So trug er erheblich zum wissenschaftlichen Ruf der Sammlung bei.
Kramer bezog ein Haus auf dem Gelände, dem heutigen Standort des Bargheer Museums. Unter seiner Leitung entstanden neue Gewächshäuser, um die empfindlichen Orchideen unter optimalen Bedingungen zu kultivieren. Hier sind sie sogar auf einer Postkarte von 1908 zu sehen.
Es war ursprünglich der englische Gärtner und Architekt Joseph Paxton (1803–1865), der spezielle, angepasste Gewächshäuser mit differenzierten Klimazonen für verschiedene Orchideenarten entwickelte. Paxton, auch bekannt als Architekt des spektakulären Crystal Palace der Londoner Weltausstellung von 1851, erkannte die Bedeutung von Licht und Luftzirkulation für gedeihende Pflanzen. [History of Orchids S. 12]
Symbolisch standen Gewächshäuser europaweit für Fortschritt und Status; sie ermöglichten selbst während nasser und kalter Nordwinter ideale Bedingungen für wertvolle Pflanzen. Allerdings waren sie mit hohen Kosten verbunden, da Glas, Eisenwerk und Heizungen teuer waren – Quadratmeterpreise konnten über denen von Wohnhäusern liegen. Trotz dieser Investition wurden Jenischs Gewächshäuser in den 1950er Jahren abgerissen.
🪴 „Wie heißen Sie nochmal..?“ Orchideen und die Linné’sche Namensgebung
Ab dem 18. Jahrhundert wurden Orchideen zum Objekt der Begierde vieler europäischer Sammler und Händler. Die meisten aus den Kolonien Asiens, Afrikas und Amerikas stammenden Exemplare blieben jedoch zunächst unklassifiziert. Umgangssprachliche Namen waren zu vage und variierten stark. Genau darum entwickelte der schwedische Botaniker Carl von Linné ein zweigliedriges Benennungssystem (die binäre Nomenklatur): Sie besteht aus Gattung und Art. Der erste Name (die Gattung) fasst verwandte Arten zusammen. Der zweite Teil (das Artepitheton, stets in Kleinbuchstaben geschrieben, welches oft ein Merkmal der Art wiedergibt) benennt die einzelne Art innerhalb der Gattung. Dieses System bildet immer noch die Grundlage moderner botanischer Klassifikation und ermöglicht Wissenschaftlern weltweit eine eindeutige, präzise Pflanzenbestimmung, ohne Konflikt mit regionalen Bezeichnungen.
Linnés Taxonomie stand daher ganz im Zeichen der Aufklärung mit ihrem Ideal rationaler Ordnung, war aber zugleich Teil der kolonialen und kommerziellen Netzwerke, durch die neue Pflanzen nach Europa gelangten.
Viele Orchideennamen ehren europäische Entdecker, Wissenschaftler, Sammler oder Gönner – wie die begehrte Stanhopea, benannt nach dem Earl of Stanhope, einer vielseitigen Persönlichkeit der Wissenschaftsgeschichte. Rückblickend erweist sich manches an der Benennung aber als problematisch: Kritische Fragen zu Ausbeutung von Menschen und Natur im Kolonialismus wurden damals nicht gestellt – vielmehr setzten viele die kolonialen Mittel ganz gezielt zum Ausbau wissenschaftlicher und imperialer Macht ein.
🪴 Indigene Namen nur selten übernommen
Indigene Namen für Orchideen fanden nur selten Eingang in das wissenschaftliche Benennungssystem – teils aus historischen und wissenschaftlichen, teils aus mangelndem Zugang zu lokalen Sprachen. Das System favorisierte einheitliche, lateinische Bezeichnungen gegenüber regionalen Bezeichnungen, die von lokalen Gruppen und Orten abhingen. Das spiegelt größere koloniale und imperiale Dynamiken wider, bei denen indigene Wissenssysteme oft übersehen oder abgewertet wurden. Allerdings gibt es neue Bestrebungen, indigene Namen vermehrt in botanische Bezeichnungen oder den allgemeinen Sprachgebrauch einfließen zu lassen, um die ursprünglichen kulturellen Wurzeln zu würdigen.
Deshalb ist es wenig verwunderlich, dass nicht nur die Villa und der Park aber auch eine Orchidee den Namen ihres Mäzens tragen: Die Stanhopea jenischiana – benannt nach Martin Johan Jenisch. Diese in Kolumbien, Ecuador, Peru und Venezuela heimische Orchidee blüht gelb-orange mit braunen Flecken und soll einen süßen Duft verströmen. Sie erzählt beispielhaft viele Facetten des kulturellen Orchideenerbes. Denn schließlich waren es der Chefgärtner des Anwesens, Franz August Kramer, und Heinrich Gustav Reichenbach, die 1851 die Orchidee zum Blühen brachten. Dies erinnert daran, dass botanischer Ruhm oft auf der Arbeit derjenigen beruhte, die hinter den Kulissen tätig waren – ähnlich wie die versteckten Treppen in der Jenisch-Villa, die ich kleinen Gruppen auf meinen privaten Führungen exklusiv zeige und die einen intimen Einblick hinter die Kulissen dieses faszinierenden Anwesens bieten.
Meine eigenen „Orchidea Aldiæ Francesii“ – meine bescheidenen Aldi-Orchideen, die ich während der Wintermonate dem Jenisch Haus anvertraute, fielen schließlich der ursprünglichen Nutzung der Villa als Sommerresidenz mit begrenzter Heizung zum Opfer. Wenn Sie sich heute während einer meiner Führungen genauer umsehen, werden Sie feststellen, dass die Orchideen, die dort heute ausgestellt sind, ganz einfach Nachbildungen sind – lediglich ein Echo der Schönheit und Zerbrechlichkeit der ursprünglichen Sammlung.
Doch gerade diese Vergänglichkeit macht Projekte wie das eingangs genannte Konzert, Orchidées so wertvoll: Durch die Übersetzung des genetischen Codes in Musik wird das Erbe der Orchideen künstlerisch neu belebt – weit über das physische Überleben hinaus. So inspirieren Orchideen immer weiter: verwurzelt in der Vergangenheit, lebendig in der Gegenwart, aufblühend in ganz neuen künstlerischen Formen. Die kurze Existenz meiner Orchidea Aldiæ Francesii, die ich zum Bruchteil früherer Jenisch-Preise erwarb und im Jenisch Haus hinterließ, belegt – sie gehören dennoch zur Geschichte.
👉🏼 Entdecken Sie die verborgenen Geschichten des Jenisch Hauses und Parks, wo Orchideen, Kunst, Geschichte und Natur zusammenkommen. Nehmen Sie an meinen exklusiven Führungen teil, um die botanischen und kulturellen Schätze dieses Hamburger Wahrzeichens kennenzulernen.
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Die Orchideen blühen im Wald und verströmen ihren Duft, auch wenn niemand da ist, der ihn wertschätzt. So lassen sich Menschen mit edlem Charakter nicht entmutigen, ihren Prinzipien und Werten auch in Armut treu zu bleiben. In guter Gesellschaft zu sein, ist wie das Betreten eines Raumes voller Orchideen.
~ Konfuzius (551–479 v. Chr.)